Washingtons Anti-Raketen-Plane bedrohen Europas Sicherheit


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Эта статья была напечатана в германском еженедельнике «Фрайтаг». Ее автор — Петер Линке — выпускник Московского института международных отношений, ныне возглавляет филиал фонда Розы Люксембург в России.

В статье рассматриваются американские планы создания всеобъемлющей системы противоракетной обороны и их влияние на глобальную безопасность. Основной вывод автора: намерения Вашингтона разместить элементы ПРО в Польше могут иметь пагубные последствия для безопасности Европы, превращаемой таким образом в предполье обороны собственно территории США.

«We’re all living in Amerika…»

Washingtons Anti-Raketen-Plane bedrohen Europas Sicherheit

Ein knappes Jahr nach seinem Ausstieg aus dem ABM-Vertrag veroffentlichte das Weiße Haus Mitte Mai 2003 seine «Nationale Politik auf dem Gebiet ballistischer Raketentechnik».

Diese Politik orientierte auf die «Schaffung komplexer Raketenabwehr-kapazitaten ab 2004″, bestehend aus Interzeptoren, die feindliche Raketen in deren mittlerer Flugphase land-(GMD) oder seegestutzt (Aegis BMD) neutralisieren, fortgeschrittenen Patriot-(PAC-3)- Raketeneinheiten sowie land-, see- und weltraumgestutzten Sensoren.

Spater sollten diese «Kapazitaten» erweitert werden um zusatzliche land- und seegestutzte Interzeptoren, PAC-3 - Einheiten, ein taktisches Raketen-abwehrsystem (THAAD), luftgestutzte Laser (ABL) sowie diverse land-, see- und weltraumgestutze Interzeptoren, die feindliche Raketen in deren Start-phase direkt attackieren und vernichten (Boost-Phase-Hit-to-Kill-Technologie).

Im Kern verfolgte Washington damit einen sicherheitspolitischen Ansatz, der in diametralem Widerspruch zur Philosophie des ABM-Vertrages von 1972 stand: durch Verschmelzung strategischer und taktischer Waffensysteme integrierte Raketenabwehrkapazitaten zu schaffen, die es den USA ermoglichen, «Praventivschlage» gegen vermeintliche «Schurkenstaaten» zu fuhren, ohne sich dabei selbst der Gefahr von Gegenschlagen auszusetzen.

Praktisch freilich gestaltet sich die Schaffung derart komplexer Raketen-abwehrkapazitaten extrem schwierig. So ist das Herzstuck des geplanten Anti-Raketen-Schirms, das vorerst auf Standorte in Fort Greely (Alaska) und Vandenberg (Kalifornien) beschrankte GMD-Segment, nicht zuletzt infolge mangelhafter Radartechnik bis heute faktisch nicht einsatzbereit, konnte der Aegis-Interzeptor SM-3 aufgrund seines feststoffgetriebenen Leitsystems insgesamt bisher wenig uberzeugen, weiß man uber die tatsachliche Leistungsfahigkeit der PAC-3 trotz massiven Einsatzes im Irak-Krieg nach wie vor sehr wenig…

Noch finsterer steht es um jene Science-Fiction-Technologien, die Washing-tons derzeitige Anti-Raketen-Architektur perspektivisch erganzen sollen: So gibt es fur das aktuelle ABL-Design keinerlei tragfahige Plattform, steckt das THAAD-Programm selbst nach uber zehn Jahren und diversen Umstrukturie-rungen noch immer tief in der Testphase, funktionieren insbesondere welt-raumgestutzte Boost-Phase-Hit-to-Kill-Interzeptoren bisher nur im Kino…

Das alles konnte Anlaß zur Freude sein, wurde Washington derweil andere Lander nicht massiv in seine technisch unausgereiften, zig Milliarden Dollar verschlingenden Anti-Raketen-Planungen hineinziehen und damit sicher-heitspolitisch erheblich destabilisieren.

Etwa im Fernen Osten, wo sich Tokio im Dezember 2005 auf die Beschaffung von SM-3- sowie PAC-3-Interzeptoren fur seine „Selbstverteidigungsstreit-krafte“ festnageln ließ.

Aber auch in Europa, wo das Pentagon seit geraumer Zeit nach einem dritten Standort fur seine GMD-Interzeptoren sucht.

Mit offenen Armen sind Rumsfeld & Co. dabei insbesondere in Warschau aufgenommen worden. Nach monatelangen vertraulichen Konsultationen erklarte Mitte September kein Geringerer als Polens Premier Jaroslav Kaczinski, er befurworte die Stationierung amerikanischer Anti-Raketen auf polnischem Territorium.

Gleichwohl lassen es die instabilen politischen Verhaltnisse im Lande Washington ratsam erscheinen, weiter nach alternativen Standorten zu suchen.

Ganz oben auf der Favoriten-Liste steht dabei Großbritannien. So sollen Mitte August US-Verteidigungsplaner diskret an der Themse nachgefragt haben, ob die Regierung der Stationierung von zehn GMD-Interzeptoren auf britischem Boden zustimmen wurde. Warum auch nicht, hatte London doch bereits im Dezember 2003 Washington zugesagt, die im nordenglischen Yorkshire gelegene Raketenfruhwarnstation Fylingdales zu modernisieren, und im Oktober 2004 versichert, ballistische Raketenabwehrmittel zu erforschen, zu entwickeln, zu testen und zu evaluieren…

Laut Weißem Haus sind es insbesondere die Raketensysteme Nordkoreas und des Iran, die potentiell in der Lage seien, Sprengkopfe bis zum ameri-kanischen Festland zu tragen und deshalb eine direkte Bedrohung fur die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten darstellen.

Tatsachlich jedoch ist die den Raketenprogrammen beider Lander zugrunde liegende Scud-Technologie hochgradig veraltet, die Moglichkeit, die Reich-weite auf dieser Technologie basierender Flugkorper derart zu optimieren, daß sie das US-Festland erreichen, real nicht gegeben.

Fur die Entwicklung qualitativ neuer Raketentechnologien waren nicht nur erhebliche Finanzmittel erforderlich, sondern auch und vor allem aus-landisches Know-How sowie ein umfassendes Testflugprogramm. Die Beschaffung auslandischen Know-Hows freilich wurde der internationalen Staatengemeinschaft ebenso wenig verborgen bleiben wie umfassende Raketentests, ganz zu schweigen davon, daß weder Nordkorea noch der Iran uber die fur derartige Tests notwendige Infrastruktur verfugen.

Auf absehbare Zeit sind lediglich russische und chinesische Raketen in der Lage, amerikanisches Festland zu erreichen. Deshalb wohl mehren sich sowohl in Moskau als auch Peking Stimmen, die meinen, die eigentlichen Adressaten der Anti-Raketen-Plane Washingtons seien Rußland und China.

Bereits Anfang der siebziger Jahre hatte sich Erkenntnis durchgesetzt, daß Anti-Raketen-Schirme nicht mehr, sonder weniger Sicherheit bedeuten,

da ihre Existenz «Unverletzbarkeit» suggeriert und damit die Bereitschaft zum «Erstschlag» erhoht. Ausgehend davon verstandigten sich 1972 die damaligen «Supermachte» Sowjetunion und USA, fortan auf derartige Schirme zu verzichten.

Heute will Washington davon nichts mehr wissen, glaubt wie in den sechzi-ger Jahren an die «stabilisierende Rolle» von Raketenabwehrsystemen.

Dabei bieten diese heute noch weniger Sicherheit als damals: Wie komplex sie auch immer sein mogen, letztlich taugen sie nur zur Abwehr ballistischer Raketen. Dieser Umstand provoziert nahezu die Suche nach «asymmetri-schen» Gegenmaßnahmen wie die Benutzung von Marschflugkorpern, Flug-zeugen oder Schiffen als preiswerte Transporter fur konventionelle und ABC-Sprengmittel.

Dies sollten vor allem Washingtons Anti-Raketen-Partner in Fernost und Europa berucksichtigen. Die Installation von Aegis-BMD-Technologie auf japanischen Kriegsschiffen stellt insbesondere fur Rußlands seegestutzen Nuklearkrafte eine Gefahr dar, die Moskau nicht ignorieren wird. Und auch Warschau und London sollten intensiver als bisher daruber nachdenken, welche potentiellen militarpolitischen und okologischen Folgen die Umwandlung Europas in einen Vorraum zur Verteidigung des amerikanischen Festlandes hatte…

Das Allergefahrlichste an Washingtons Anti-Raketen-Planen ist jedoch die angestrebte massive Militarisierung des erdnahen Raums. Ein Raketen-schirm, wie er dem Weißen Haus vorschwebt, impliziert nicht nur diverse weltraumgestutzte Steuer-, Beobachtungs- und Kommunikationsmittel, sondern auch und vor allem weltraumgestutzte Waffensysteme. Aus dem erdnahen Raum heraus operierende Boost-Phase-Hit-to-Kill-Interzeptoren sind heute tatsachlich pure Science Fiction. Doch wie formulierte es Ex-Luftwaffenstaatssekretar Peter B. Teets so schon: „Wir sind noch nicht so weit, aus dem Weltall zu attakieren und Bomben zu werfen, aber wir denken uber derartige Moglichkeiten nach…“ Ein Spinner? Nur wenige Jahre ist es her, da erschienen Anti-Satelliten-Waffen (ASAT) als Spinnerei. Heute investiert die US-Luftwaffe jahrlich zig Millionen in die Entwicklung realer ASAT-Kapazitaten wie «Coaters» oder ANGELS

Washingtons Star-Wars-Phantastereien verlangen nach entschiedenen Schritten der Weltgemeinschaft. Das Ruckgrat des gegenwartigen Weltraum-rechts, der Weltraumvertag (OST) von 1967, verbietet im kosmischen Raum lediglich das Testen, die Stationierung und die Anwendung von ABC-Waffen. Im September 2003 erklarte Rußlands Prasident Wladimir Putin vor den Vereinten Nationen, sein Land werde nicht als erstes Offensivwaffensysteme im Weltraum stationieren. Eine begrußenswerte Initiative, der jedoch weitere folgen mussen. 2007 wird der OST 40 Jahre alt. Fur die Weltgemein-schaft eine gute Gelegenheit, uber seine Erneuerung nachzudenken.

№2(8), 2007